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MwSt-Betrug: Europäische Kommission schlägt weitreichende Maßnahmen zur erfolgreicheren Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug vor

Die Europäische Kommission hat am 22.02.2008 eine Mitteilung über mögliche weitergehende Maßnahmen zur Bekämpfung von MwSt-Betrug vorgelegt. Diese Maßnahmen betreffen die Einführung einer Besteuerung von innergemeinschaftlichen Lieferungen und eines generellen Verfahrens zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge). Mit beiden Systemen kann das Phänomen des aufgrund des sog. „verschwundenen Händlers” durchgeführten Karussellbetrugs erheblich eingeschränkt werden. Beide werfen allerdings auch Probleme auf, die untersucht werden sollten, bevor die Entscheidung für eines der Verfahren getroffen wird. Die Besteuerung innergemeinschaftlicher Warenlieferungen könnte wettbewerbsverzerrende Cash-Flow-Benachteiligungen für Unternehmen verursachen, die auf dem Binnenmarkt Umsätze bewirken, und würde die Neuzuweisung der MwSt-Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten erfordern. Die Einführung eines generellen Reverse-Charge-Systems für inländische Umsätze könnte nach Auffassung der Kommission nur funktionieren, wenn das System in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt wird, nicht aber, wenn es als Option gewählt werden könnte. Da aber bisher mit einem generellen System nicht genügend Erfahrungen vorliegen, erhebt die Kommission keine Einwände gegen die Einführung eines Pilotprojekts in einem dazu bereiten Mitgliedstaat, sofern dabei bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

 

László Kovács, für Steuern und Zölle zuständiges Kommissionsmitglied, erklärte hierzu: „Mit beiden Systemen – der Besteuerung innergemeinschaftlicher Lieferungen und dem generellen Reverse-Charge-System – sind Vorteile für die Bekämpfung von Karussellbetrug verbunden. Da uns jedoch noch keine empirischen Daten vorliegen und die nationalen Haushalte vor anderen neuartigen Betrugsformen bewahrt werden müssen, sollten wir das derzeit geltende MwSt-System nur mit größter Vorsicht ändern. Bevor wir die Arbeiten in diesem Bereich fortsetzen, sind politische Vorgaben erforderlich, um Gewissheit darüber zu erlangen, dass die Mitgliedstaaten bereit sind, die Konsequenzen aus einer radikalen Änderung zu akzeptieren.”

 

Bei einem Karussellbetrug stellt ein Steuerpflichtiger, der einen innergemeinschaftlichen Erwerb ohne Mehrwertsteuerbelastung getätigt hat, bei einer anschließenden Lieferung im Inland die Mehrwertsteuer in Rechnung und verschwindet danach, ohne diese Mehrwertsteuer an den Fiskus abzuführen.

 

 

Besteuerung innergemeinschaftlicher Warenlieferungen

 

Bei diesem Konzept würden innergemeinschaftliche Lieferungen in dem Herkunftsmitgliedstaat mit einem Satz von 15 % besteuert. Wendet der Empfängermitgliedstaat einen höheren Satz an, entrichtet der Käufer diese zusätzliche Mehrwertsteuer direkt an diesen Mitgliedstaat. Wendet der Empfängermitgliedstaat dagegen einen niedrigeren Satz an, weil ein ermäßigter MwSt-Satz gilt (in einigen Mitgliedstaaten auch der Nullsatz), gewährt der Empfängermitgliedstaat dem Steuerpflichtigen, der den innergemeinschaftlichen Erwerb tätigt, eine Gutschrift.

 

Die Besteuerung innergemeinschaftlicher Lieferungen dürfte eine geeignete Lösung für das Problem des Karussellbetrugs sein. Andere Arten des Betrugs würden damit aber keinesfalls vermieden. Außerdem wären damit Cash-Flow-Probleme insbesondere für KMU verbunden, die die Mehrwertsteuer bei Umsätzen, die derzeit nicht mehrwertsteuerpflichtig sind, vorstrecken müssten.

 

Nach Auffassung der Kommission ist das größte Problem bei dieser Lösung die Frage eines Clearing Systems für die MwSt-Einnahmen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Herkunftsmitgliedstaaten müssten die Mehrwertsteuer (zu einem Satz von 15 %) einnehmen und an den Empfängermitgliedstaat abführen. Damit würden nach den Berechnungen der Kommission 10 % der MwSt-Einnahmen der Mitgliedstaaten von den Zahlungen anderer Mitgliedstaaten abhängen.

 

Bevor die Kommission die Funktionsweise eines Clearing Systems weiter prüft, ersucht sie den ECOFIN-Rat um politische Leitlinien in der Frage, ob die Besteuerung innergemeinschaftlicher Lieferungen im Herkunftsmitgliedstaat als mögliche Lösung in Betracht zu ziehen ist.

 

Falls nicht alle Mitgliedstaaten damit einverstanden wären, dass ihre MwSt-Einnahmen von anderen Mitgliedstaaten abhängen könnten, sieht die Kommission als einzig mögliche Alternative die Besteuerung innergemeinschaftlicher Lieferungen beim Empfänger. Bei dieser Alternative würde die Besteuerung zu dem im Empfängermitgliedstaat geltenden Steuersatz erfolgen, so dass ein einheitlicher Satz von 15 % für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht erforderlich wäre. Zudem würden sowohl für die Steuerpflichtigen als auch für die Steuerverwaltungen niedrigere Kosten entstehen. Diese Option würde allerdings die Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle (bei einer einzigen Anlaufstelle könnten die Beteiligten ihren Registrierungs- und Anmeldeverpflichtungen in ihrem eigenen Mitgliedstaat nachkommen, auch in Bezug auf Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten, in denen sie nicht ansässig sind. Die Zahlung würde direkt von dem Steuerpflichtigen an den Verbrauchsmitgliedstaat erfolgen) erfordern.

 

 

Generelles Reverse-Charge-System

 

Bei einer generellen Verlagerung der Steuerschuldnerschaft (Reverse Charge) würde das derzeit für innergemeinschaftliche Lieferungen geltende MwSt-System auch für Umsätze im Inland gelten. Das bedeutet, dass der Verkäufer dem Kunden keine Mehrwertsteuer in Rechnung stellt, wenn Letzterer auch steuerpflichtig ist. Stattdessen müsste der Kunde (und nicht der Verkäufer) die Mehrwertsteuer an den Fiskus abführen.

 

Nach Ansicht der Kommission würde die Einführung einer generellen Verlagerung der Steuerschuldnerschaft den Karussellbetrug erheblich verringern. Die Kommission befürchtet allerdings, dass dieses System bei den Mitgliedstaaten letztendlich zu Einnahmeausfällen aufgrund anderer, neuer Betrugsarten, wie dem unversteuerten Verbrauch und dem Missbrauch von Mehrwertsteuer-Identifikationsnummern führen kann. Um solche neuen Betrugsarten zu bekämpfen, müsste das System von verschiedenen Maßnahmen flankiert werden, die es komplizierter machen und Unternehmen und Steuerverwaltungen neue, aber nicht unüberwindliche Belastungen auferlegen könnten.

 

Daher sollte ein allgemeines System zur Verlagerung der Steuerschuldnerschaft nach Ansicht der Kommission entweder EU-weit zwingend vorgeschrieben sein, oder das Konzept sollte ganz aufgegeben werden. Es wäre nicht akzeptabel, ein solches System den Mitgliedstaaten als Option anzubieten, da dies für in mehreren Mitgliedstaaten tätige Unternehmen eine erhebliche Belastung bedeuten würde.

 

In Anbetracht aller oben genannten Gründe und aufgrund der fehlenden empirischen Daten zu der Auswirkung einer generellen Verlagerung der Steuerschuldnerschaft hält die Kommission es für sinnvoll, in einem Mitgliedstaat ein Pilotprojekt durchzuführen, um die Auswirkung eines solchen Systems zu prüfen, sofern strenge Kriterien erfüllt werden.

 

 

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